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Landestheater Eisenach (C) Tobias Kromke

Wo Götter ins Zweifeln kommen

Im Bündnis mit Meiningen: am Landestheater Eisenach ist wieder Oper zu bestaunen: „La clemenza di Scipione“ von Johann Christian Bach


Joachim Lange
Menschen? Wozu? Das fragen sich die Götter in Johann Christian Bachs (1735-1782) am Landestheater Eisenach erstmals nach der Londoner Uraufführung von 1778 wieder aufgeführter Oper „La clemenza di Scipione“. Bei den Schweinen hätten wir aufhören sollen. So, das wohl nicht so ganz ernst gemeinte göttliche Resümee angesichts ihrer Geschöpfe. Falk Pieter Ulke und Kerstin Wiese schlurfen immer mal wieder als altes Ehepaar über die Bühne. Wie Jupiter und Juno, Wotan und Fricka oder Donner und Doria, wie sie selbst bemerken. Er in Unterhosen und offenem Bademantel - und sie auch nicht so ganz taufrisch. Neben ihrer menschlichen Gestalt haben sie noch ein Klappmaulpuppengesicht. Und die geistreichen Bonmots, die ihnen Regisseur Dominik Wilgenbus in den Mund gelegt hat. Götter im Ruhestand, die ihren Spaß daran haben, wenn sich ihre Geschöpfe kloppen. Wie in den Punischen Kriegen (so will es das Libretto). Die nörgelnden Wortbeiträge der beiden sind ein amüsanter Kunstgriff, um sich einen Weg durch das Wer-mit-Wem zu bahnen. Die Handlung ist zwar nicht mehr ganz so barock verworren wie bei Händel & Co, aber doch ein Stresstest für die heutige Allgemeinbildung. Bei den Punischen Kriegen (…nach dem dritten war das große Karthago nicht mehr aufzufinden - so Bert Brecht.) hilft das Programmheft auf die Sprünge. Es geht natürlich um Liebe und um die Güte des Titelhelden Scipio. Nicht gleich wie bei Mozart 1791, also dreizehn Jahre später, um die Güte eines Kaisers (Titus), beim jüngsten Bach-Sohn tut’s auch ein römischer Feldherr als leuchtendes Vorbild für die Moral der Mächtigen.

Dominik Wilgenbus, Peter Engel (Bühne) und Uschi Haug (Kostüme) haben diese frühklassische opera seria mit unaufdringlichem Witz und leichter Ironie in Szene gesetzt. Mit sympathisierendem Augenzwinkern für die fünf Akteure und die dazu erfundenen Götter. Irgendwann fragen sich die Götter: Haben die nicht eigentlich uns erfunden? Solange sie nicht von selbst drauf kommen - wir verraten es ihnen nicht. Diese Dialektik zum Schmunzeln ist so eine Zutat, die die Ausgrabung zum Vergnügen macht. Neben der Musik versteht sich. Natürlich bleibt Mozart Mozart - aber im luftleeren bzw. klangfreien Raum hat offensichtlich auch dieses Originalgenie nicht komponiert. Hört man die Musik von Johann Christian Bach, dann versteht man den Respekt Mozarts für den älteren Kollegen. Es ist so eine Art vorweggenommener Ideomeneo-Sound, auch die Beredsamkeit der „Entführung aus dem Serail“ meint man zu hören. Alles als flotte Nummernfolge, mit kunstvollen Arien samt der Möglichkeit für jeden Protagonisten seine Koloraturkünste vorzuführen. Es ist eine genau genommen, unbekannte Musik, die dem heutigen Hörer dennoch vertraut ist. Zumal, wenn die so frisch und dynamisch aus dem Graben kommt, wie bei den 32 Musikern der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach unter Leitung von Juri Lebedev. Dazu ein junges Protagonisten-Ensemble: Martin Lechleitner mit geschmeidigem Tenor als siegreicher römischer Prokonsul Scipio und der kraftvolle Counter Onur Abaci als sein Kontrahent Luceius. Mit seiner spanischen Braut Arsinda Sara-Maria Saalmann zelebriert er einen Liebestod als antirömisches Statement, den freilich die Götter korrigieren. Als zweite spanische Prinzessin ist Alexandra Scherrmann pragmatischer und wird die Geliebte des römischen Generals Marzius (Johannes Mooser). Wenn sie alle im Quintett gestrichene Chorpassagen übernehmen, fügt sich das bruchlos ein. Das archaisch anmutende Bühnenhalbrund mit einem halben Dutzend Öffnungen ist nicht nur für das (manchmal sogar choreografierte) Spiel mit Charme und Sexappeal, sondern auch für die Koloraturpracht, das melodische Parlando und die Ensembleszenen der ideale Rahmen. Diese Ausgrabung ist ambitioniert, gut gemacht und unterhaltend. Man kann nur hoffen, dass sich möglichst viele, nicht nur Eisenacher, davon persönlich überzeugen. Und, dass der neue Meininger Intendant sich nicht entmutigen lässt, auch hier weiter zu machen.