„DAFÜR BRAUCHT ES EINE KÄMPFE­RISCHE STADT­GESELL­SCHAFT”

BALLETT ROSSA AUF “ROLLEN­DER LIT­FASS­SÄULE”
1. März 2020
PROBEN­BESUCH IM BALLETT­SAAL
3. März 2020
 
Die Gesellschaft der Freunde der Oper und des Balletts Halle e. V. unterstützt das hallesche Musiktheaterhaus mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement. Am 8. April feiert die Gesellschaft ihren 25. Geburtstag mit einem rauschenden Jubiläums-Ball auf der Opernbühne. Musiktheaterdramaturg Philipp Amelungsen hat drei Opernfreund*innen eingeladen, über ihre Leidenschaft für Musiktheater und Kulturförderung in der Saalestadt zu sprechen. Barbara Langhans (61) ist Vorstandsvorsitzende und Gründungsmitglied der Gesellschaft. Hans-Dieter Marr (88) ist ebenfalls Gründungsmitglied und besucht seit 75 Jahren die halleschen Theater. Ganz frisch dabei ist Martin Wolff (21). Er steht mit dem Jugendchor und als Statist auf der Bühne und möchte Gesang studieren.


PHILIPP AMELUNGSEN (PA)

Ihr engagiert euch als Freunde der Oper und des Balletts für die Kultur in eurer Stadt sowie für unser Opernhaus. Dabei bescheinigen viele der Oper, eine Kunstform von gestern zu sein: Die Zuschauenden werden immer älter und in den vergangenen drei Jahrzehnten ist das Opernpublikum in der Bundesrepublik um 25 % geschrumpft. Ist das eigentlich noch ein Engagement für die Zukunft?


BARBARA LANGHANS (BL)

Unbedingt! Das Freizeitangebot ist seit der Wende vielfältiger geworden. Da scheint es manchmal, dass andere Sachen hipper sind als Oper. Aber gerade in Berlin ist um Musiktheater wieder ein Hype ausgebrochen. Da möchte man hin und gesehen werden. Es wäre ganz toll, wenn das auch für Halle gelingt. Denn langweilig ist Oper ganz und gar nicht. Gerade unter der jetzigen Intendanz: spannend, frisch und abwechslungsreich, zum Nachdenken, politisch engagiert. Auch musikalisch kommt man total auf seine Kosten.


HANS-DIETER MAAR (HDM)

Für mich ist die Oper die höchste der darstellenden Künste überhaupt, verbunden durch Musik, Schauspiel und Tanz. Das ist ein Gut, mit dem ich groß geworden bin und ich möchte das nicht missen. Ich bin jetzt 88 Jahre alt, besuche seit 75 Jahren die halleschen Theater und habe 1780 Vorstellungen gesehen. Als Lehrer habe ich mein Augenmerk darauf gelegt, mit meinen Klassen regelmäßig Aufführungen zu besuchen und den Nachwuchs für die Oper zu begeistern. Und das ist nicht einfach, das weiß ich sehr gut. Aber wir haben einen Auftrag: Das Weltkulturerbe Oper zu pflegen und zu erhalten. Das ist unwiederbringlich. Da kann die heutige moderne Musik noch so gut sein. Es ist unübertrefflich, was dort geschrieben wurde. Für mich ist aber auch wichtig: Oper muss sich wandeln. Sie muss das junge Publikum ansprechen.


MARTIN WOLFF (MW)

Ich glaube, Oper ist gerade im Umbruch. Sie ist weniger exklusiv als früher, bricht gewisse Traditionen auf und wandelt sich auch medial. Die Guckkastenbühne wird aufgebrochen, Videotechnik wird immer wichtiger, um neue Ebenen des Erzählens auszuloten. Da gehen vielleicht einige Zuschauer *innen verloren, aber ich denke, das ist kein langfristiger Effekt.


PA

Was war eure erste Begegnung mit der Kunstform Oper und was hat euch dabei begeistert oder vielleicht auch irritiert?


HDM

Meine erste Oper habe ich 1946 gesehen – Hoffmanns Erzählungen. Da habe ich aber nicht viel verstanden. Die Musik war mir auch völlig unbekannt. Aber ich kann mich noch gut an die Arie der Olympia erinnern. Die Oper, die mir so gefallen hat, dass ich Fan geworden bin, ist Die verkaufte Braut. Die ist 36 Mal gespielt worden und ich war in jeder Vorstellung. Da hat es „Klick" gemacht. Damit hat übrigens Anny Schlemm ihre Karriere hier begonnen. Sie war auch mein Jahrgang und hat mich interessiert. Als Lehrer habe ich mir dann später vorgenommen: Du kannst nicht mit dem Ring des Nibelungen anfangen. Du musst deinen Schüler *innen eine Oper anbieten, die interessant und sofort zugänglich ist. Dann kannst du darauf aufbauen.


BL

Meine Eltern hatten ein Opernabonnement in Magdeburg. Wir hatten nicht viel Geld, deshalb saßen wir immer im zweiten Rang in der letzten Reihe. An meine erste Oper kann ich mich dabei nicht erinnern. Besonders ergreifend war aber Madame Butterfly für mich. Da war ich mit meinen Schwestern, weil unsere Eltern nicht konnten. Es war wunderschön. Wir mussten aber in der Pause gehen, damit wir pünktlich um zehn zu Hause sind und sich meine Mutter keine Sorgen macht. Erst hier in Halle habe ich die Oper dann vollständig erleben können, mit Romelia Lichtenstein in der Titelpartie. Ich saß übrigens in einer Reihe mit lauter Männern im Anzug, vielleicht Banker, die in den 90ern neu in die Stadt gekommen waren. Jedenfalls holten die dann in der Schlussarie alle ihre Taschentücher raus und fingen an zu weinen. Das fand ich damals ganz berührend.


MW

In der siebenten Klasse waren wir in der Oper. Da war ich aber noch damit beschäftigt, Papierflieger aus dem ersten Rang zu werfen. 2016 war ich dann mit Freunden im Fliegenden Holländer. Nach der Mitmachaktion hat mir jemand in der Raumbühne meinen Platz geklaut und ich habe den Rest der Vorstellung auf der Treppe gesessen. Das war super unbequem, aber die Oper war toll. Deshalb habe ich mich seitdem sehr intensiv dem Zuschauen gewidmet. Spring Awakening habe ich sogar 20 Mal gesehen. Heute bin ich aber viel mehr auf der anderen Seite. Ich singe im Jugendchor, im Extrachor und bin oft als Statist auf der Bühne.


PA

Die Gesellschaft der Freunde wird jetzt 25 Jahre alt. Wir gratulieren ganz herzlich. Wie kam es 1995 zur Gründung?


BL

Für die Gründung der Gesellschaft hat der damalige Intendant Klaus Froboese den Anstoß gegeben. Er hat engagierte Opernbesucher*innen angesprochen und für die Sache begeistert. Und wenn man sich die Liste der Gründungsmitglieder anschaut, haben da Menschen aus der Wirtschaft, dem Finanzwesen, der Stadtverwaltung und der Universität unterschrieben. Übrigens fast ausschließlich Männer. Da sind wir heute zum Glück vielfältiger aufgestellt. Gleichzeitig hat es kulturelles Engagement heute schwer. Dabei haben wir viel zu geben, sowohl für den Kopf als auch für das Herz. Ich wünsche mir mehr gesellschaftliche Verantwortung. Denn Halle ist kein einfaches Pflaster, um Gelder einzuwerben. Deshalb kommt es auf die leidenschaftliche Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger an, sich für ihre Theater einzusetzen.


HDM

Wie Barbara bin auch ich Gründungsmitglied der Gesellschaft. Wir haben uns damals drei Dinge auf die Fahne geschrieben: Wir wollten die Oper in der Außenwahrnehmung, also in der Werbung, unterstützen, eine Verbindung zwischen den Zuschauer*innen und den Künstler*innen schaffen und durch gemeinsame Veranstaltungen neue Fördernde gewinnen. Außerdem war uns der Nachwuchs wichtig. Es gab einen Förderpreis, den wir, ich glaube, neun Mal verliehen haben, unter anderem an Anke Berndt und Michal Sedláček. Den gibt es momentan nicht mehr, auch weil wir das finanziell nicht mehr stemmen können. Das finde ich sehr schade. Es wäre schön, wenn sich dafür ein neuer Stifter fände. Gleichzeitig tun wir unser Möglichstes: unterstützen den Kinder- und Jugendchor und bezahlen auch jedes Jahr die zusätzlichen Tänzer*innen, die für die Nussknacker-Vorstellungen engagiert werden, um die Produktion, die wirklich viel Personal braucht, zu ermöglichen.


PA

Ihr begleitet die Oper Halle schon sehr lange, seid sozusagen das überzeitliche Gedächtnis des Hauses, denn Intendant*innen kommen und gehen, ihr bleibt dem Haus aber auch über die künstlerisch Leitenden hinaus verbunden. Welche Entwicklung hat das Haus seit den 90er Jahren genommen?


BL

Die Gründung der Theater, Oper und Orchester GmbH (TOOH) war sicherlich ein großer Einschnitt, ohne den es die Krisen auch dieser Intendanz vielleicht gar nicht so gegeben hätte. Klaus Froboese ist ja damals mit der GmbH-Gründung ausgestiegen. Axel Köhler hat auch das Handtuch geworfen, weil es nur mit Harmonie eben auch nicht geht. Also, da waren schon immer harte Bandagen im Spiel. Und auch Florian Lutz ist jetzt diesem Konstrukt ein Stückweit zum Opfer gefallen. Das bedaure ich sehr. Es wurde ja offen überlegt, auch vom Oberbürgermeister, das Geschäftsführermodell zu Gunsten eines Direktionsmodells zu überdenken, also: die künstlerischen Intendant*innen gleichberechtigt an der Spitze der TOOH zu integrieren, weil das jetzige Modell schon immer für unklare Zuständigkeiten gesorgt hat. Und das ist ja noch nicht ausgestanden, sondern wird ausgesessen. Das sehe ich mit großer Sorge. Ansonsten finde ich die Entwicklung in der Oper gerade mit Florian Lutz sehr spannend. Ich bin stolz, Teil dieser neuen Art Oper zu machen sein zu können. Ich muss nicht mehr nach Berlin, München oder Hamburg fahren, denn das Neue, das Zeitgenössische, passiert hier.


HDM

Ich habe alle Intendanten gekannt und ein persönliches Verhältnis zu ihnen gehabt und bedauert, dass sowohl Froboese als auch Köhler gegangen sind. Das hat alles seinen Grund. Den hat Barbara eben genannt. Und es ging schon noch unter dem damaligen Geschäftsführer Rolf Stiska. Aber momentan geht es offenbar nicht mehr. Unter Florian Lutz bin ich dann durch alle Gefühle gewandert, von Begeisterung bis Ablehnung. Nach der Fidelio-Premiere bin ich aber hin zu ihm und hab ihm eine zehnminütige Wutrede übergeholfen. Er hat mir zugehört. Dann war er so dreist, mir einen Auftritt als Statist im Fidelio anzubieten! Ich konnte aber auch nicht nein sagen, weil ich finde, der Lutz ist ein guter Kerl, sympathisch, geht auf das Publikum zu. So habe ich mich nochmal intensiv mit dem Beethoven beschäftigt und musste letztlich feststellen: Die Inszenierung war klug gemacht! Natürlich war das frech, im zweiten Akt die eigene kulturpolitische Situation hier in Halle auf die Bühne zu bringen und sich als Florestan-Wiedergänger zu inszenieren. Aber es war große Kunst! Und natürlich ein Schock für jeden gestandenen konservativen Operngänger. Dennoch, er hat Bewegung in die Oper gebracht. Früher ist man rausgegangen und hat gedacht: Das war schön, jetzt ist es aber auch gut! Heute muss ich mich geistig auseinandersetzen. Das ist positiv. Lutz hat verstanden das Publikum zu interessieren und zu einer Streitbarkeit zu bringen. Da muss man aber damit rechnen, dass eben nicht alle davon begeistert sind. Außerdem gab es auch genug Inszenierungen, die voll gegen den Baum gefahren sind.


PA

Martin, du bist ein junger Opernfreund und hast diese Langzeitperspektive vielleicht gar nicht. Aber wie nimmst du die Oper gerade wahr und wo siehst du die Kunstform Oper in 20 Jahren?


MW

Oper ist vielfältig. Ich reise oft in andere Städte und sehe dort auch viele eher traditionelle Aufführungen mit opulenten Kostümen und historisierendem Bühnenbild. Da sage ich dann aber oft: Das habe ich jetzt einmal gesehen wie vom Komponisten gedacht. Dann ist es aber auch gut. An zeitgenössischen Aufführungen mag ich, dass sie eine andere Langzeitwirkung auf mich haben. Sie regen mich intensiver zu einer Auseinandersetzung an. Dabei mag ich, wenn auch mit dem Raum kreativ umgegangen wird. Darin liegt vielleicht auch die Zukunft der Oper: neue Perspektiven schaffen. Auch durch Technik, die heute noch in den Kinderschuhen steckt, wie Virtual Reality und Hologramme.


PA

Barbara, was für Herausforderungen siehst du für einen Opern-Förderverein im 21. Jahrhundert zwischen Tradition und Innovation?


BL

Ich habe ja schon gesagt, dass ich mir mehr Engagement für die Gesellschaft der Freunde der Oper und des Balletts wünsche. Aber da scheint auch oft eine Dienstleistungsmentalität in den Köpfen der Menschen zu sein: Die Anderen müssen etwas für mich tun. Aber darum geht es nicht, sondern um Verantwortung, die wir gemeinsam für unser kulturelles Erbe haben. Das möchte ich auch an meine Kinder und Enkelkinder weitergeben. Dafür braucht es aber Geld. Natürlich ist da vor allem die Politik in der Pflicht. Wir alle können aber ebenso unseren Beitrag leisten. Dafür braucht es eine kämpferische Stadtgesellschaft. Was man zurückbekommt – die Verzauberung durch Bühne und Musik – ist ein großes Geschenk. Unsere größte Herausforderung ist aber die aktive Arbeit im Verein. Bald stehen Vorstandswahlen an und natürlich freuen wir uns, wenn mehr Menschen an der Spitze Verantwortung übernehmen wollen.


PA

Am 8.April findet der Jubiläumsball zum 25. statt. Worauf dürfen sich eure Gäste dort freuen?


HDM

Ja, das frag ich mich auch! Ich weiß ja auch noch gar nichts ...


BL

Na, das ist ja auch noch geheim. Zumindest die Details. Wir werden wieder klein anfangen, wie damals beim ersten Opernball unter Froboese, und nicht ganz so nobel sein wie in Wien. Aber es wird ein toller Abend auf der Bühne der Oper. Dort erwarten unsere Gäste natürlich Festreden zum 25. Jubiläum, aber auch ein Festprogramm der Oper mit Sänger*innen und den Tänzer*innen des Ballett Rossa. Natürlich ist für Speis und Trank gesorgt. Die UNI-BIGBAND sorgt für Tanzmusik. Ein guter Anlass also um einen feierlichen Abend zu begehen, mal wieder seine schicken Kleider rauszuholen, egal ob das kleine Schwarze oder das lange Rote. Wir freuen uns darauf, mit unseren Gästen ins Gespräch zu kommen und hoffen natürlich, dass wir einen Funken setzen, die Tradition der Opernbälle in Halle wiederzubeleben. Aber auch das braucht Engagement, so hoffen wir, dass sich das rumspricht und wir vielleicht für die kommenden Jahre weitere Unterstützer*innen finden.



Dieses Interview können Sie in der Opernzeitschrift Ausgabe 8/2020 nachlesen.